28.02.2017

„Vom Schulleiterdasein habe ich nie geträumt“

- Ausführliches Interview mit Prof. Dr. Trelenberg, dem neuen Chef des Woeste-Gymnasiums -

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Der neue Leiter des Hemeraner Woeste-Gymnasiums, Prof. Dr. Jörg Trelenberg, spricht über sein Verständnis als Schulleiter sowie Fragen von Bildung und einer guten Schule.

Seit Beginn des Monats ist Prof. Dr. Jörg Trelenberg als Nachfolger von Ulrich Vielhauer Leiter des Friedrich-Leopold-Woeste Gymnasiums. Im Gespräch mit Reinhard Köster hat Trelenberg über sein Selbstverständnis als Lehrer und Schulleiter Auskunft gegeben, aber auch zu anderen Fragen Stellung bezogen.

Herr Prof. Trelenberg, Ihr Verhältnis zum Woeste-Gymnasium hat sich im Laufe der Jahrzehnte mehrfach gewandelt: erst Schüler, später Lehrer, nun der Chef? Wenn Sie gelegentlich von der Schule träumen, welche Rolle nehmen Sie dann ein?
Tatsächlich sehe ich mich im Traum manchmal als Schüler im Unterricht sitzen, kurioserweise meist im Lateinunterricht. Dieser scheint die tiefsten Spuren hinterlassen zu haben. In der Rolle als Lehrer finde ich mich im Traum selten wieder. Dies könnte man tiefenpsychologisch ausdeuten. Vom Schulleiterdasein habe ich nie geträumt. Es stand nicht auf meiner Wunschliste, ist erst in der letzten Zeit in den Blick gekommen und eher von außen an mich herangetragen worden.

Beeinflussen die Erfahrungen des Schülers und Lehrers Trelenberg die Arbeit des Schulleiters Trelenberg?
Ja, ganz entscheidend. Wenn ich in meinem jetzigen Dienstzimmer sitze, sehe ich vor meinem geistigen Auge noch sehr genau, wie ich mich ebendort als kleiner Schüler vor dem damaligen Direktor Dr. Meyer rechtfertigen musste. Es waren harmlose Streiche, weswegen wir dort auf der Couch saßen. Aber wie man sich fühlte, ist noch sehr präsent. Das hilft heute bei der Beurteilung ähnlicher Situationen. ‒ Die pädagogischen Erfahrungen als Lehrer sind die Basis für mein Verständnis von Schule und werden es auch bleiben. Es wäre fatal, wenn man auf den Gedanken käme, irgendeinen von außen kommenden, reinen Manager als Leiter einer Schule einzusetzen. Der Primat der Pädagogik ist entscheidend!

Wann haben Sie sich erstmals konkret mit dem Gedanken auseinandergesetzt, Leiter des Woeste-Gymnasiums werden zu wollen?
Über viele Jahre habe ich diese Aufgabe für mich abgelehnt. Lieber wollte ich mich mit Platon und Aristoteles, Mozart und Bach beschäftigen als mit der Sorge um Finanzen oder verschmutzte Toiletten. Es war mein damaliger Schulleiter Eckardt Lüblinghoff, der mich für eine umfangreiche Schulleiterqualifikation vorschlug und anmeldete. Und da wuchs allmählich mein Interesse, gestalterisch tätig zu werden und Visionen auch konkret umsetzen zu können.

Welches Verständnis haben Sie von einer „guten Schule“?
Eine „gute Schule“ ist von gegenseitigem Vertrauen, Respekt, Toleranz, Gerechtigkeit und Angstfreiheit geprägt. Sie unterstützt die Freude am Lernen, fördert die unterschiedlichen Begabungen und bereitet qualitätsbewusst auf die vielfältigen Anforderungen einer internationaler werdenden Studien- und Berufswelt vor. Eine gute Schule ist gut organisiert, die interne Kommunikation funktioniert, Entscheidungen sind transparent. Eine gute Schule ist attraktiv und stellt in der Region einen bedeutsamen Kulturfaktor dar. Alle Beteiligten (Schüler, Eltern, Kollegen) tragen Verantwortung, engagieren sich und werden in ihren Anliegen und Ratschlägen gehört. Eine gute Schule entwickelt sich stetig weiter, ohne bewährte Traditionen aufzugeben.

Welche Ziele stehen zurzeit ganz oben auf Ihrer Agenda?
Sie stehen im Zusammenhang mit meinem Verständnis von „guter Schule“. Es gibt eine Reihe von kurzfristigen Zielen. Langfristig geht es mir um eine Weiterentwicklung des Gymnasiums hin zu einer weltoffenen, internationalen sowie humanistischen und pazifistischen Idealen verpflichteten Schule. Das schafft man aber nur gemeinsam und keinesfalls in einem Jahr.

Wie können Sie die Herausforderungen Ihrer Aufgaben am Woeste-Gymnasium und Ihre Tätigkeit als Wissenschaftler und Universitätsdozent in Einklang bringen?
Die wissenschaftliche Forschung, das Schreiben von Büchern und die Lehre an der Universität werde ich auch weiter betreiben. In welchem Umfang dies konkret gelingt, wird sich zeigen. Aufgeben werde ich es jedenfalls nicht. Die wissenschaftliche Betrachtungsweise der Welt ist weit mehr als ein Hobby, eher eine Lebenseinstellung, die ich im Übrigen mit vielen meiner Kolleginnen und Kollegen teile.

Apropos Universität. Welche Bedeutung haben Ihre akademischen Titel für Sie im Alltag? Glauben Sie, dass sie Ihnen bei Schülern und Kollegen zusätzliche Autorität verleihen?
Akademische Titel sind manchmal praktisch als Türöffner, manchmal behindern sie aber auch die Kommunikation. Das gilt aber nur für die offiziellen Kontakte. Im schulischen Alltag spielen sie nach meiner Einschätzung keine Rolle. Kinder sind da zum Glück völlig unbefangen und für die gewachsenen Beziehungen im Kollegium sind sie ebenfalls unerheblich.

Haben Sie das Volksbegehren zur Wiedereinführung von G9 schon unterschrieben?
Ja, das habe ich. Für eine gute Bildung darf nicht an Zeit und Geld gespart werden. Die Qualität und Nachhaltigkeit von Bildung ist das Entscheidende. Ein vertieftes Studium ist dem schnellen und mitunter oberflächlichen Aneignen von Lerninhalten vorzuziehen. Auch das selbstständige und selbstbestimmte Lernen muss gerade an einem Gymnasium wieder mehr gefördert werden. Aber dafür muss unseren Kindern und Jugendlichen auch die Zeit zur Verfügung gestellt werden.

In der öffentlichen schulpolitischen Diskussion werden spätestens seit dem Pisa-Schock vornehmlich geisteswissenschaftliche Unterrichtsinhalte als „Ballast“ kritisiert. Läuft das Gymnasium nicht Gefahr, sich zu sehr den Zielen späterer wirtschaftlicher „Verwertbarkeit“ von jungen Menschen auszurichten?
Natur- und Humanwissenschaften, wie ich sie nennen möchte, dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es geht um ein umfassendes Verständnis der Welt und der Stellung des Menschen in ihr. Beides bedingt sich und es wäre kurzsichtig, sich nur auf einen Erkenntniszugang zu beschränken. ‒ Die Frage nach der Nützlichkeit von Wissen und Kompetenzen darf gestellt werden, aber keinesfalls das entscheidende Kriterium sein. Zum einen ist der Nutzen und die „Verwertbarkeit“ in einer sich schnell wandelnden Welt immer nur eine Momentaufnahme. Zum anderen bildet das Gymnasium nicht auf einen bestimmten Beruf hin aus, sondern schafft die Grundlagen und hat die umfassende Persönlichkeitsbildung zum Ziel. Selbstständig denkende, kreative, auch moralisch gefestigte Persönlichkeiten sind für eine Gesellschaft wichtig. Von ihnen profitiert dann auch die Wirtschaft.

Bleibt in der Schule nicht bei dem Bestreben der effizienten Wissensvermittlung das Lehren von Weisheit auf der Strecke?
Eine hochphilosophische Frage! Nach meinem Verständnis ist Wissen in der Regel etwas Statisches, ein geistiger Zustand gewissermaßen, der in Bezug zu einer konkreten Sache steht. Aber Weisheit ist mehr. Sie beinhaltet geistige Beweglichkeit und Unabhängigkeit, im Idealfall gepaart mit einer großen Erfahrung. Damit ist Weisheit nur bedingt lehrbar, aber sie ist das anzustrebende Ideal. Immerhin halten sie viele für das höchste Ziel und den Inbegriff des individuellen Glücks. Ich denke so: Wissen und Weisheit schließen sich nicht aus. Wer etwas weiß, ist zwar noch lange nicht weise. Aber ein Weiser, der nichts weiß, ist wohl auch absurd.

Wie sehen Sie die Zukunft des Religionsunterrichtes? Wird es dieses Fach in zehn Jahren noch konfessionsspezifisch geben?
Die Bindung des Religionsunterrichts an die Kirchen ist in Deutschland nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus bewusst im Grundgesetz verankert worden. Der Sinn liegt darin, staatliche Eingriffe auch in Krisenzeiten der Demokratie zu erschweren. Gleichzeitig steht das Fach als ordentliches Lehrfach unter staatlicher Aufsicht, um beispielsweise Indoktrination zu verhindern. Diese Balance hat sich bewährt. In der einzelnen Schule vor Ort ist die konfessionelle Trennung allerdings sachlich kaum noch angezeigt, insbesondere nicht im wissenschaftsorientierten Oberstufenunterricht. Ob sich im Zuge der Einführung des islamischen Religionsunterrichts, der inhaltlich unter Beteiligung verschiedener islamischer Organisationen ausgestaltet wird, auch im christlichen Religionsunterricht mittelfristig etwas ändern wird, ist in der Tat eine offene Frage.

Wie finden Sie nach einem harten Arbeitstag Entspannung?
Der typische Arbeitstag ist bei mir momentan zweigeteilt. Vormittags und nachmittags findet er in der Schule statt, abends werden zu Hause noch die Mails beantwortet und Restarbeiten erledigt. Dazwischen versuche ich, möglichst vor dem Sonnenuntergang noch einmal zum Joggen in den Wald zu kommen. Das fällt im Winter meist kürzer, im Sommer schon einmal länger aus. Dabei schweifen die Gedanken in die verschiedensten Richtungen. Es kommt vor, dass ich hinterher nicht mehr weiß, wo ich hergelaufen bin.

Welches Buch liegt zurzeit auf Ihrem Nachttisch?
Eine Geschichte der Philosophie. Ich bin gerade beim faszinierenden Anselm von Canterbury.

Wofür haben Sie eine Schwäche?
Eindeutig für unsere Enkelkinder.

Was wünschen Sie sich und dem Woeste-Gymnasium?
Dass wir alle, die wir am Schulleben beteiligt sind, eine gewisse Gelassenheit bewahren. Bildung und Erziehung ist ein komplexes Geschehen, das man nicht fahrplanmäßig erreichen und schon gar nicht erzwingen kann. Wir sind allerdings für gute Bedingungen verantwortlich. Vor allen Dingen sollten wir als Eltern und Lehrer gute Vorbilder sein. Das prägt und erzieht die Kinder am meisten.    

Text und Foto: Reinhard Köster / IKZ vom 25.02.2017



Letzte Änderung: 22.02.2017