„Vom Schulleiterdasein
habe ich nie geträumt“
- Ausführliches Interview
mit Prof. Dr. Trelenberg, dem neuen Chef des
Woeste-Gymnasiums -
Der neue Leiter des Hemeraner Woeste-Gymnasiums, Prof. Dr.
Jörg Trelenberg, spricht über sein Verständnis als
Schulleiter sowie Fragen von Bildung und einer guten
Schule.
Seit Beginn des Monats ist Prof. Dr. Jörg Trelenberg als
Nachfolger von Ulrich Vielhauer Leiter des
Friedrich-Leopold-Woeste Gymnasiums. Im Gespräch mit
Reinhard Köster hat Trelenberg über sein Selbstverständnis
als Lehrer und Schulleiter Auskunft gegeben, aber auch zu
anderen Fragen Stellung bezogen.
Herr Prof. Trelenberg,
Ihr Verhältnis zum Woeste-Gymnasium hat sich im Laufe
der Jahrzehnte mehrfach gewandelt: erst Schüler, später
Lehrer, nun der Chef? Wenn Sie gelegentlich von der
Schule träumen, welche Rolle nehmen Sie dann ein?
Tatsächlich sehe ich mich im Traum manchmal als Schüler im
Unterricht sitzen, kurioserweise meist im
Lateinunterricht. Dieser scheint die tiefsten Spuren
hinterlassen zu haben. In der Rolle als Lehrer finde ich
mich im Traum selten wieder. Dies könnte man
tiefenpsychologisch ausdeuten. Vom Schulleiterdasein habe
ich nie geträumt. Es stand nicht auf meiner Wunschliste,
ist erst in der letzten Zeit in den Blick gekommen und
eher von außen an mich herangetragen worden.
Beeinflussen die
Erfahrungen des Schülers und Lehrers Trelenberg die
Arbeit des Schulleiters Trelenberg?
Ja, ganz entscheidend. Wenn ich in meinem jetzigen
Dienstzimmer sitze, sehe ich vor meinem geistigen Auge
noch sehr genau, wie ich mich ebendort als kleiner Schüler
vor dem damaligen Direktor Dr. Meyer rechtfertigen musste.
Es waren harmlose Streiche, weswegen wir dort auf der
Couch saßen. Aber wie man sich fühlte, ist noch sehr
präsent. Das hilft heute bei der Beurteilung ähnlicher
Situationen. ‒ Die pädagogischen Erfahrungen als Lehrer
sind die Basis für mein Verständnis von Schule und werden
es auch bleiben. Es wäre fatal, wenn man auf den Gedanken
käme, irgendeinen von außen kommenden, reinen Manager als
Leiter einer Schule einzusetzen. Der Primat der Pädagogik
ist entscheidend!
Wann haben Sie sich
erstmals konkret mit dem Gedanken auseinandergesetzt,
Leiter des Woeste-Gymnasiums werden zu wollen?
Über viele Jahre habe ich diese Aufgabe für mich
abgelehnt. Lieber wollte ich mich mit Platon und
Aristoteles, Mozart und Bach beschäftigen als mit der
Sorge um Finanzen oder verschmutzte Toiletten. Es war mein
damaliger Schulleiter Eckardt Lüblinghoff, der mich für
eine umfangreiche Schulleiterqualifikation vorschlug und
anmeldete. Und da wuchs allmählich mein Interesse,
gestalterisch tätig zu werden und Visionen auch konkret
umsetzen zu können.
Welches Verständnis haben
Sie von einer „guten Schule“?
Eine „gute Schule“ ist von gegenseitigem Vertrauen,
Respekt, Toleranz, Gerechtigkeit und Angstfreiheit
geprägt. Sie unterstützt die Freude am Lernen, fördert die
unterschiedlichen Begabungen und bereitet qualitätsbewusst
auf die vielfältigen Anforderungen einer internationaler
werdenden Studien- und Berufswelt vor. Eine gute Schule
ist gut organisiert, die interne Kommunikation
funktioniert, Entscheidungen sind transparent. Eine gute
Schule ist attraktiv und stellt in der Region einen
bedeutsamen Kulturfaktor dar. Alle Beteiligten (Schüler,
Eltern, Kollegen) tragen Verantwortung, engagieren sich
und werden in ihren Anliegen und Ratschlägen gehört. Eine
gute Schule entwickelt sich stetig weiter, ohne bewährte
Traditionen aufzugeben.
Welche Ziele stehen
zurzeit ganz oben auf Ihrer Agenda?
Sie stehen im Zusammenhang mit meinem Verständnis von
„guter Schule“. Es gibt eine Reihe von kurzfristigen
Zielen. Langfristig geht es mir um eine Weiterentwicklung
des Gymnasiums hin zu einer weltoffenen, internationalen
sowie humanistischen und pazifistischen Idealen
verpflichteten Schule. Das schafft man aber nur gemeinsam
und keinesfalls in einem Jahr.
Wie können Sie die
Herausforderungen Ihrer Aufgaben am Woeste-Gymnasium und
Ihre Tätigkeit als Wissenschaftler und
Universitätsdozent in Einklang bringen?
Die wissenschaftliche Forschung, das Schreiben von Büchern
und die Lehre an der Universität werde ich auch weiter
betreiben. In welchem Umfang dies konkret gelingt, wird
sich zeigen. Aufgeben werde ich es jedenfalls nicht. Die
wissenschaftliche Betrachtungsweise der Welt ist weit mehr
als ein Hobby, eher eine Lebenseinstellung, die ich im
Übrigen mit vielen meiner Kolleginnen und Kollegen teile.
Apropos Universität.
Welche Bedeutung haben Ihre akademischen Titel für Sie
im Alltag? Glauben Sie, dass sie Ihnen bei Schülern und
Kollegen zusätzliche Autorität verleihen?
Akademische Titel sind manchmal praktisch als Türöffner,
manchmal behindern sie aber auch die Kommunikation. Das
gilt aber nur für die offiziellen Kontakte. Im schulischen
Alltag spielen sie nach meiner Einschätzung keine Rolle.
Kinder sind da zum Glück völlig unbefangen und für die
gewachsenen Beziehungen im Kollegium sind sie ebenfalls
unerheblich.
Haben Sie das
Volksbegehren zur Wiedereinführung von G9 schon
unterschrieben?
Ja, das habe ich. Für eine gute Bildung darf nicht an Zeit
und Geld gespart werden. Die Qualität und Nachhaltigkeit
von Bildung ist das Entscheidende. Ein vertieftes Studium
ist dem schnellen und mitunter oberflächlichen Aneignen
von Lerninhalten vorzuziehen. Auch das selbstständige und
selbstbestimmte Lernen muss gerade an einem Gymnasium
wieder mehr gefördert werden. Aber dafür muss unseren
Kindern und Jugendlichen auch die Zeit zur Verfügung
gestellt werden.
In der öffentlichen
schulpolitischen Diskussion werden spätestens seit dem
Pisa-Schock vornehmlich geisteswissenschaftliche
Unterrichtsinhalte als „Ballast“ kritisiert. Läuft das
Gymnasium nicht Gefahr, sich zu sehr den Zielen späterer
wirtschaftlicher „Verwertbarkeit“ von jungen Menschen
auszurichten?
Natur- und Humanwissenschaften, wie ich sie nennen möchte,
dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es geht um
ein umfassendes Verständnis der Welt und der Stellung des
Menschen in ihr. Beides bedingt sich und es wäre
kurzsichtig, sich nur auf einen Erkenntniszugang zu
beschränken. ‒ Die Frage nach der Nützlichkeit von Wissen
und Kompetenzen darf gestellt werden, aber keinesfalls das
entscheidende Kriterium sein. Zum einen ist der Nutzen und
die „Verwertbarkeit“ in einer sich schnell wandelnden Welt
immer nur eine Momentaufnahme. Zum anderen bildet das
Gymnasium nicht auf einen bestimmten Beruf hin aus,
sondern schafft die Grundlagen und hat die umfassende
Persönlichkeitsbildung zum Ziel. Selbstständig denkende,
kreative, auch moralisch gefestigte Persönlichkeiten sind
für eine Gesellschaft wichtig. Von ihnen profitiert dann
auch die Wirtschaft.
Bleibt in der Schule
nicht bei dem Bestreben der effizienten
Wissensvermittlung das Lehren von Weisheit auf der
Strecke?
Eine hochphilosophische Frage! Nach meinem Verständnis ist
Wissen in der Regel etwas Statisches, ein geistiger
Zustand gewissermaßen, der in Bezug zu einer konkreten
Sache steht. Aber Weisheit ist mehr. Sie beinhaltet
geistige Beweglichkeit und Unabhängigkeit, im Idealfall
gepaart mit einer großen Erfahrung. Damit ist Weisheit nur
bedingt lehrbar, aber sie ist das anzustrebende Ideal.
Immerhin halten sie viele für das höchste Ziel und den
Inbegriff des individuellen Glücks. Ich denke so: Wissen
und Weisheit schließen sich nicht aus. Wer etwas weiß, ist
zwar noch lange nicht weise. Aber ein Weiser, der nichts
weiß, ist wohl auch absurd.
Wie sehen Sie die Zukunft
des Religionsunterrichtes? Wird es dieses Fach in zehn
Jahren noch konfessionsspezifisch geben?
Die Bindung des Religionsunterrichts an die Kirchen ist in
Deutschland nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus
bewusst im Grundgesetz verankert worden. Der Sinn liegt
darin, staatliche Eingriffe auch in Krisenzeiten der
Demokratie zu erschweren. Gleichzeitig steht das Fach als
ordentliches Lehrfach unter staatlicher Aufsicht, um
beispielsweise Indoktrination zu verhindern. Diese Balance
hat sich bewährt. In der einzelnen Schule vor Ort ist die
konfessionelle Trennung allerdings sachlich kaum noch
angezeigt, insbesondere nicht im wissenschaftsorientierten
Oberstufenunterricht. Ob sich im Zuge der Einführung des
islamischen Religionsunterrichts, der inhaltlich unter
Beteiligung verschiedener islamischer Organisationen
ausgestaltet wird, auch im christlichen
Religionsunterricht mittelfristig etwas ändern wird, ist
in der Tat eine offene Frage.
Wie finden Sie nach einem
harten Arbeitstag Entspannung?
Der typische Arbeitstag ist bei mir momentan zweigeteilt.
Vormittags und nachmittags findet er in der Schule statt,
abends werden zu Hause noch die Mails beantwortet und
Restarbeiten erledigt. Dazwischen versuche ich, möglichst
vor dem Sonnenuntergang noch einmal zum Joggen in den Wald
zu kommen. Das fällt im Winter meist kürzer, im Sommer
schon einmal länger aus. Dabei schweifen die Gedanken in
die verschiedensten Richtungen. Es kommt vor, dass ich
hinterher nicht mehr weiß, wo ich hergelaufen bin.
Welches Buch liegt
zurzeit auf Ihrem Nachttisch?
Eine Geschichte der Philosophie. Ich bin gerade beim
faszinierenden Anselm von Canterbury.
Wofür haben Sie eine
Schwäche?
Eindeutig für unsere Enkelkinder.
Was wünschen Sie sich und
dem Woeste-Gymnasium?
Dass wir alle, die wir am Schulleben beteiligt sind, eine
gewisse Gelassenheit bewahren. Bildung und Erziehung ist
ein komplexes Geschehen, das man nicht fahrplanmäßig
erreichen und schon gar nicht erzwingen kann. Wir sind
allerdings für gute Bedingungen verantwortlich. Vor allen
Dingen sollten wir als Eltern und Lehrer gute Vorbilder
sein. Das prägt und erzieht die Kinder am
meisten.
Text und Foto: Reinhard
Köster / IKZ vom 25.02.2017
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