30.06.2012

ZEUS-AWARD 2011/12

Gottes Nähe am Lieblingsort gespürt

- Artikel des IKZ -

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Lisa Shchapova freute sich über die Auszeichnung und den Preis, einen einstündigen Rundflug mit dem Fotografen Hans Blossey (links). IKZ-Redaktionsleiter Thomas Reunert hielt die Laudatio bei der Verleihung in Mühlheim. Foto: Bernd Lauter/WAZ FotoPool


Mühlheim/Hemer. Mit der beeindruckenden Beschreibung eines außergewöhnlichen Erlebnisses an ihrem Lieblingsplatz, der Klagemauer in Jerusalem, hat die Woeste-Gymnasiastin Lisa Shchapova beim ZEUS-Award 2011/12 einen der sechs Hauptpreise, den Wettbewerb „HomeSpot - hier bin ich gern“, gewonnen.

Am Freitagnachmittag nahm die 14-jährige Deilinghofenerin bei der feierlichen Verleihung im Ringlokschuppen in Mühlheim die Urkunde und den Preis, einen einstündigen Rundflug mit dem Fotografen Hans Blossey, gestiftet von der Deutschen Annington, entgegen.

„Zugegeben - die Aufgabe, gerade auch junge Menschen über ihren Lieblingsort schreiben zu lassen, ist nicht neu“, räumte IKZ-Redaktionsleiter Thomas Reunert in seiner Laudatio ein. Im Rahmen des zum dritten Mal ausgeschriebenen Wettbewerbs sei Lisa Shchapova aber etwas ganz Besonderes gelungen, und das fing schon mit ihrem ungewöhnlichen Lieblingsort an, der Klagemauer. „Mit einer Beschreibung voller Gefühl und zugleich einer solchen Ernsthaftigkeit“ habe Lisa in ihrem Text festgehalten, was sie bei ihrem letzten Besuch dort vor drei Jahren glaubte zu verspüren, nämlich die Anwesenheit Gottes. „Sie versucht zu beschreiben, was sie fühlt, sie ahnt, dass sie das tut, ohne es wirklich völlig zu verstehen. Weil es für einen Menschenverstand vielleicht einfach zu groß ist. Sie nähert sich journalistisch einer Glaubensfrage, vor allem ihrer Glaubensfrage.“ Dafür, so Thomas Reunert, habe sie Respekt verdient: „Und auf jeden Fall einen ZEUS-Award!“

Das hatte auch die Jury, der Vertreter der WAZ-Mediengruppe und der Preis-Sponsoren angehörten, so gesehen: Lisa nehme mit ihrem Text die Leser mit in die Hitze von Jerusalem, lasse sie die besondere Atmosphäre des Ortes spüren und schließlich auch noch an ihren intensiven religiösen Erfahrungen teilhaben. Zusätzlich gebe es noch viele Infos zu dem Bauwerk und seiner Bedeutung: „Ihr atmosphärischer und mit viel Intensität aufgeladener Schreibstil im Verbund mit dem mitgelieferten Hintergrundwissen über die Klagemauer lassen nur einen Schluss zu: Dieser Text ist einen ZEUS-Award wert!“

Dass sie den Wettbewerb gewinnt, dafür hatte Lisa, die in Moskau geboren wurde und seit fast neun Jahren in Deutschland lebt, gleich zwei untrügliche Vorzeichen, wie sie im Gespräch mit der Heimatzeitung verriet: „Meine Oma hat davon geträumt, und meine Mutter hatte es sich so sehr gewünscht, deswegen war ich mir so sicher.“ Noch wichtiger beim Schreiben sei ihr aber gewesen, ihren Lieblingsort, der ihr auch direkt und spontan als erstes eingefallen sei, als sie durch ihre Deutschlehrerin Gislinde Dahmen von dem Wettbewerb hörte, anderen näher zu bringen. Denn es sei ein ganz besonderer Ort, den sie von der Bedeutung her in einer Reihe mit den Weltwundern der Antike wie den Pyramiden von Gizeh oder den modernen Weltwundern wie der Chinesischen Mauer sehe. Dabei sei für sie - einmal abgesehen von dem Umstand, dass ihre Großeltern in Jerusalem leben - die Klagemauer das Einzige, was sie mit dem Land Israel verbinde. Denn sie sei zwar durch ihre Eltern je zur Hälfte jüdisch und russisch-orthodox, praktiziere aber keine der Religionen, sondern glaube einfach nur an Gott: „Denn Religionen reißen die Menschen auseinander, Gott vereinigt sie.“



Hier nun der Text, mit dem Lisa Shchapova die Jury überzeugte und der am 29. November 2011 auf einer der ZEUS-Sonderseiten erschienen ist:

Klagemauer eröffnet neue Perspektiven

Lisa Shchapova stellt ihren Lieblingsort vor

Jerusalem. Beim „Homespot“-Wettbewerb haben ZEUS-Reporter die Gelegenheit, ihre Lieblingsorte vorzustellen. Heute schreibt Lisa Shchapova, warum sie sich so gern an der Klagemauer aufhält.

18 Monate und vier Tage musste ich auf das Wiedersehen warten. Endlich waren wir da. Als ich die Meleke-Kalksteine sah, verschwanden die Schmerzen in den Füßen und die quälende Hitze. Ich kam plötzlich in eine andere Dimension. Das Gefühl von Gottes Anwesenheit und ich, wir waren eins. Langsam näherte ich mich der 48 Meter langen und 18 Meter hohen Klagemauer, die bei Juden der wichtigste und heiligste Ort ist und die Überreste des Salomonischen Tempels darstellt. Der Salomonische Tempel, der erste fest gebaute Tempel Israels, wurde im Auftrag Salomons, der der dritte Herrscher Israels im 10. Jahrhundert v. Chr. war, auf dem Tempelberg Moria in Jerusalem errichtet.

Ich betrat die Abteilung der Frauen, mein Herz schlug immer stärker. Bei jedem Schritt fiel mir das Atmen schwerer. Meine Knie zitterten, so dass ich einen Moment nicht mehr weitergehen konnte. Ich hatte das Gefühl, als würde meine Kehle austrocknen. Mit zitternder Hand versuchte ich, die Gebetszettel aus der Tasche zu holen. Einige fielen mir auf den Boden, da merkte ich erst, wie viele ich davon doch mitgenommen hatte. Vor meiner Fahrt hatte ich Freunden und sogar Lehrern angeboten, welche zu schreiben. Ich war da wohl zu voreilig, denn immer mehr hatten mich gefragt. Stolz verspürte ich, als ich sie sah, ich hatte keinen davon gelesen.

Nach einer Zeit gelang es mir, die Zettel in überfüllte Ritzen und Spalten zu stecken. Viele Wünsche, Klagen und Gebete, auf kleine Zettelchen geschrieben, kann man sogar per Post, Fax oder E-Mail an den Rabbi Schmuel Rabinowitz schicken, der die Nachrichten zur Klagemauer bringt. Zwar wusste ich, dass vor Pessach und dem Neujahrsfest die Zettel eingesammelt werden, um Platz für Neue zu schaffen, aber ich wusste nicht wohin. Zu Hause habe ich recherchiert und herausgefunden, dass sie wie nicht mehr verwendete Bibeltexte auf dem Ölberg nach jüdischem Brauch begraben werden. Auch den letzten Zettel presste ich fest in einen Spalt und lehnte meinen Kopf gegen die Klagemauer. Dieses einzigartige Gefühl konnte ich nur dort verspüren.

Mir war ganz klar im Kopf. Frieden und innere Ruhe nahmen mich mit sich fort. Es war ein ungewöhnlicher Frieden, denn es war nicht der Frieden zwischen den Menschen, sondern zwischen mir und einer unbekannten Macht. Mir kam es vor, als würde ich über meinem eigenen Körper schweben und mich von einer anderen Perspektive sehen. Meine alltäglichen Sorgen kamen mir so unwichtig und sogar komisch vor. Zwar hatte ich die gleiche Gestalt, und doch war etwas Anderes, Unbeschreibliches zu sehen. Ist das wirklich Gottes Anwesenheit? Und wenn doch nicht: Wer oder was brachte mich in die geheimnisvolle Perspektive? Diese Fragen und viele mehr stellte ich mir, denn nach einem kurzen Moment kam ich wieder in meinen Körper. Diese Perspektive dauerte nur einen kleinen Augenblick.

Die Hand meiner Mutter streifte vorsichtig meine Schulter. Ich musste zurück nach Hause. Beim Gedanken daran, dass es schon vorbei war, kamen mir die Tränen, doch ich atmete tief ein und versuchte, sie zu unterdrücken. Langsam ging ich rückwärts, da man einem so heiligen Ort den Rücken nicht zuwenden durfte. Als ich die Mauer sah, wusste ich: Es war nicht irgendjemand oder etwas. Nein, ich war mir sicher, es konnte nur Gottes Anwesenheit sein. Tränen, die ich unterdrücken wollte, liefen mir über die Wangen, da ich einsah, dass ich mich von den Gefühlen, Gedanken und der geheimnisvollen, einzigartigen Perspektive für eine Weile trennen soll. Nur ein Gedanke blieb: Jerusalem - bald komme ich wieder!

Torsten Lehmann



 Letzte Änderung: 30.06.2012